Original: Frigyes Karinthy: Tegezés
Zwei Herren treffen sich auf der Straße. Seit zehn Jahren kennen sie sich, sie waren nie besonders gut miteinander befreundet; wenn sie sich getroffen haben, haben sie paar kühle, höfliche Worte gewechselt, danach gingen sie schnell auseinander. Vor fünf Tagen sind sie auf irgendeinem Bankett zusammen gewesen, beim Sekt-Trinken haben sie per du getrunken. Jetzt fällt das beiden ein, jedoch keiner der Beiden ist sich sicher, ob sie damals tatsächlich per du getrunken haben oder ob es ihnen nur so vorkommt. Beide sind in der Klemme, weil wenn das stimmt, und der Eine Sie sagt, dann wird der Andere beleidigt sein, wenn der Eine sich nicht daran erinnert und denkt, dass er es bereut hat – und wenn es nicht stimmt, dann sowieso, was wird er denken, wenn er ihn jetzt duzt. Aber etwas reden muss man ja, da beide schon stehengeblieben sind! Beide beschließen plötzlich, dass sie warten bis der Andere zuerst ´was sagt und danach werden sie sich richten.
Der Eine (freundlich hält er die Hand des Anderen und schaut ihn ermunternd an): Aa…
Der Andere (er schaut genauso): Aa… also das… das ist aber nett… (sie schütteln einander die Hände weiter, lassen sie nicht los), dass wir uns treffen…(lächelnd und etwas auffordernd schaut er den Anderen an).
Der Andere: wo geh… gehen wir so hin?
Der Eine: ich gehe nur so herum hier… so auf und ab. Und …hm… wie geht´s uns?
Der Andere (glücklich, dass er über sich reden kann; da gibt´s keinen Zweifel, da muss man in erster Person reden): Also mir geht´s eigentlich gut, irgendwie. Sehr heiß ist es, abgesehen davon geht es mir gut. Leiden…, man leidet unter dieser Hitze - nicht wahr?
Der Eine (gierig): Genau, fürchterlich. Noch dazu scheint die Sonne so!
Der Andere: Ja! Nicht genug, dass es so heiß ist, die Sonne scheint auch noch!
(peinliche Pause. Beide haben dringende Termine, sie trauen sich aber nicht gehen, bevor die Sache nicht geklärt ist, da man beim Verabschieden entweder „Servus“ oder „auf Wiedersehen“ sagt – tertium non datur).
Der Andere: Also… Ding…was macht die Familie? Man hat immer viel zu tun mit der Familie, nicht wahr?
Der Eine (etwas unbeholfen): mit welcher Familie?
Der Andere: also mit…(scherzhaft) unserer Familie? Die gnädige Frau und die Kinder?
Der Eine: Meine Kinder?
Der Andere: Ja, genau. Die Kinder.
Der Eine (versteht noch immer nicht): Also meine Kinder – oder…
Der Andere: Ja, sicher, ich hab das nur so gesagt, so scherzhaft, wie man das so sagt, he he he.
Der Eine (lachend): Ja, scherzhaft! He he he! (Lange Pause, während sie einander die Hände schütteln und lachen. Auf einmal bemerkt der Eine, dass auf dem Mantel des Anderen ein Käfer herumkriecht.)
Der Eine: Pass – passen wir auf… ein Käfer kriecht hier – auf …
Der Andere: Wo?
Der Eine: auf dem Ding… Mantel.
Der Andere: Auf welchem Mantel?
Der Eine: auf…diesem hier… (scherzhaft) nicht auf meinem, he he he.
Der Andere: Also auf wessen Mantel? (schaut ihn steif an).
Der Eine (quälend scherzend): Das sag ich nicht!
Der Andere: auf meinem? (schaut ihn tief an).
Der Eine (überlegt): Ja.
Der Andere (resignierend schnippt den Käfer vom Mantel weg): Danke, sehr nett, dass… dass die Menschen so aufmerksam zu einander sind …
Der Eine: Keine Rede wert.
Der Andere: Doch, ich danke vielmals.
Der Eine: Nichts zu danken, das ist doch ganz bagatell. (Lange Pause)
Der Andere: Also – ich werde jetzt in diese Richtung gehen…
Der Eine (erschrocken): Jetzt schon? Ist es wirklich so dringend? Können wir… nicht noch ein bisschen...?
Der Andere: Nur weiß ich nicht… ob es nicht ungelegen ist…
Der Eine: Aber wo? Ich freue mich wirklich sehr, dass ich… dass wir uns wiedersehen konnten…
Der Andere: Ich auch… sehr, dass… dass man einander wiedersehen konnte.
Der Eine: ich gehe so hinauf auf der Ringstraße. Gehen… wir zusammen?
Der Andere (hat in der anderen Richtung zu tun): Aber ja, sehr gerne…(Ohne irgendeinen Grund gehen sie zusammen, reden über alles, über Politik, Philosophie, Gedichte, Geschäfte, über ganz allgemeine Themen, nur damit sie den anderen nicht ansprechen müssen. Beide wünschen sehnsüchtig, dass der andere ihn endlich anspricht).
Der Eine (um 12 Uhr, als die Geschäfte bereits geschlossen sind): Also, wo wohnen wir, wo?
Der Andere (wütend): Wer? Wer?
Der Eine: (resignierend): Ich.
Der Andere: Woher soll ich das wissen?
Der Eine: Natürlich… (tritt auf den Fuß des Anderen).
Der Andere: Auweh!
Der Eine: Was ist?
Der Andere: nichts… zufällig… he he… sind wir auf meinen Fuß getreten…
Der Eine (bereits blass vor lauter Wut): Wer? Brüllt: Wer?
Der Andere (traumverloren): Ich weiß nicht…
Der Eine: Nein? Er gibt ihm eine Ohrfeige). Da hast es, du Volldepp! Weißt du es jetzt? (nimmt einen Revolver aus seiner Tasche heraus).
Der Andere ( (glücklich): Natürlich weiß ich´s! … Servus! … Du, du, du… (Sie fallen einender um den Hals)
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