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Berichterstattung vom Schlachtfeld

Autorenbild: Josef FarkasJosef Farkas

Original: Frigyes Karinthy, Harctéri Tudósitás


Erstes Kapitel

Von unserem, speziell zu diesem Zweck animierten Kriegsberichterstatter, dessen mit seiner degenerierten Geschmacksempfindung erfüllte Kopf-Artikel unsere Leser bereits öfter das Glück hatten, zu lesen, der nun beschloss, seinen differenzierten schriftstellerischen Stil in die Spannung des Schlachtfeldes getaucht, der Öffentlichkeit vorzustellen.

Lila-Weindampf, 21. Nov

Im Stationsgebäude werden bulgarische Soldaten auf einen Güterzug geladen. Über ihren Köpfen opalisiert der Himmel in lila Farbe – das ist eine kaum zu beschreibende Mischung von blau-gelb und weinrot-schwarz. So schaut jetzt der Himmel aus über Lille-Reindorf, über dem Schlachtfeld, wo einer der größten Kämpfe der Weltgeschichte vor unseren zwei Augen vorbeistürmte – das grausamste Gefecht, welches ich den Lesern nachstehend erzählen werde.

Man muss sich beeilen mit dem Bericht, fiebernd, sich wild beeilen, beeilen, wie die wütend gewordenen Walküre in der großartigen Oper von Wagner. Begeistert hasche ich nach Worten, damit ich die aufgestauten Spannungen der letzten zwei Tage erzählen kann… auf der langsamen und schwerfälligen Bahn des Papiers versucht meine Schreibfeder sich schnaufend nach vorne zu dringen, wie der Untersee-Torpedo, der zwischen Eisberge gelangt ist… Hier ist jede Minute, jede Sekunde wertvoll, - hier ist Tat und Wahrheit real geworden, und man kann nicht mehr mit Worten spielen und nach erwägenden Attributen suchen, wenn ich die Schlacht, die Schlacht beschreibe – da muss die eitle Stilisierung und Individualisierung aufhören, in der ungeheuren Suggestion der zusammenstoßenden Massen – hier muss man zur Sache gehen ohne weiteres , mit harten, schnellen Worten erzählen, was passiert ist und nicht nach den besten, ausgewählten Ausdrücken der im verfeinertem Labyrinth kreisenden, zartbeschlagenen Möglichkeiten der prahlenden Erzitterung des Impressionismus suchen.


Hier, vor unseren Augen, vor unseren zwei einzelnen privaten, beauftragten Augen, die zu Hause in den Budapester Kaffeehäusern die verrauchte Luft eingeatmet haben… hier vor unseren Augen ist das Heer, das sich gestern zu Mittag ins Tal stürzte und das türkische Armeekorps angriff.

Harte, bulgarische Soldaten. Richtige Soldaten… so, wie soll man sagen, so soldatenmäßige Soldaten. Bereits in der ersten Minute wird einem klar, dass das etwas ganz anderes ist, als was wir bisher gekannt haben. Uns gegenüber, auf einem Hügel ein großer, breiter Soldat in Pluderhose. Im Kaffeehaus Palermo sieht man manchmal so etwas. Er schaut ruhig nach vorne. Gerade, mit ausgestreckten Händen und Beinen, steif. Er schaut. Er schaut nach vorne, in die Ferne. In Richtung des türkischen Korps. Woran denkt er wohl?


Vielleicht denkt er an einen kühlen Morgen, im kleinen bulgarischen Dorf, als die Kirchenglocken die Messe einläuteten … Alte bulgarische Frauen gehen im bulgarischen Dorf herum… vielleicht ist auch seine Mutter darunter… sie ist auch eine alte bulgarische Frau, die an ihren bulgarischen Sohn denkt im kleinen bulgarischen Dorf… bulgarische Frau im bulgarischen Dorf…wie wunderbar, wie wunderbar das ist…dass im bulgarischen Dorf alte bulgarische Frauen herumgehen…

Dieser große Mann ist Falkoff, der Anführer der Armee. Alles hängt jetzt von ihm ab. Die Verletzten werden in langen Reihen in die Spitäler transportiert, wir haben mit einem von ihnen geredet, mit einem Verletzten.


Braungebrannter Landwirt mit soldatenmäßigem Gesicht. Er hat eine Schrapnellkugel in seinen Ellenbogen bekommen. Er schaut uns müde, gebrochen an. Er ist krank.

Mit Erlaubnis des Pflegers stelle ich einige Fragen an ihn. Ich fragte ihn, ob ihm der Arm wehtut.

Er sagt, der tut ihm weh.

Nämlich ist eine Schrapnellkugel in seinen Ellenbogen eingedrungen, davon tut ihm der Arm weh.

Schnell stelle ich ihm noch paar Fragen, bevor er weggebracht wird.


Wie ist die Kugel in den Ellenbogen geflogen, ist die schnell hineingegangen?

Er sagt, sehr, sehr schnell, er hat es gar nicht gemerkt, plötzlich war die drinnen.

Und wann ist die Kugel hineingeflogen, als Sie den Türken gegenüber standen und miteinander kämpften, ging dann die Schrapnellkugel in Ihren Ellenbogen, frage ich ihn schnell noch, weil es hier alle eilig haben und drängeln, so hab ich nur für paar schnelle, wichtige Fragen Zeit.


Nein, sagt der Verletzte, sondern die Kugel ist in meinen Ellenbogen geflogen, als ich mit meiner Frau zu Hause im Hof gesessen bin und den Kopf von meinem Sohn Franz gestreichelt habe im Sommer des Vorjahres, Sie blöder Journalist.

Entsetzlich! Er hat schon Fieber, er fantasiert bereits, der Unglückliche. Er wird den morgigen Tag kaum erleben. Sie bringen ihn weg… mehr und mehr Verletzte… immer schneller kommen sie, wie ein Fluss mit steigendem Hochwasser, da das beispiellose, große Gefecht gestern statt fand, zu dem die Journalisten erneut nicht reingelassen wurden; mir hat ein Weinvertreter in Piliscsaba erzählt, wie so eine Schlacht ausschaut, sein Schwager hat ´67 so eine gesehen im Krim, die war auch so entsetzlich.


Und über jeden Gräuel strahlt der blendende balkanische Himmel, mit gleichgültigen, etwas ausgefranzten Wolken… und der Himmel opalisiert lilafärbig… und er hat so eine dunkel-gelbe Farbe… oder eher schwarz-weinrot… aber nein, doch eher rot-braun, mit weißen Punkten… oder doch ocker-artig, wie die Damenhüter sind… oh, Damenhüter…


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